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Berlinale Weblog


Freitag, September 26, 2003


Mittwoch, Februar 20, 2002
Weblog-Umzug

Die Berlinale ist vorbei, das Weblog-Experiment vorüber.

Und geht doch, anders, weiter. In üblicherer Weblog-Form, mit Links, Tipps, kurzen Kommentaren, nicht zu Ende Gedachtem. Nicht notwendig auf Film beschränkt. Und interaktiv: mit Kommentar- und Beitragsmöglichkeiten. Das alles hier:

Jump Cut Weblog

See ya,
Ekkehard



Montag, Februar 18, 2002
Goldene Bären für "Spirited Away" und "Bloody Sunday"

Kommentar von Ekkehard Knörer

Der Vorhang zu den 52. Internationalen Filmfestspielen ist gefallen. Die Preise sind vergeben. Die Kritiker und die Besucher sinken, beglückt, gelangweilt, verärgert, vor allem aber erst mal: erschöpft von den vielen Bildern und Geschichten, zurück in ihren Alltag,. Man wird nicht sagen können, dass der Jahrgang 2002 herausragend war, ein wirkliches Meisterwerk gab es, im Wettbewerb jedenfalls, nicht zu sehen. Dazu passt, dass der Goldene Bär diesmal geteilt wurde. Eine wunderbare Entscheidung, die gewiss nicht auf einhellige Zustimmung stoßen wird, ist der Goldene Bär für "Spirited Away". Der Film fand in der Presse kaum Resonanz, in Scharen strömten die Journalisten aus der Vorführung. Dabei war schon die Einladung ein wirkliches Ereignis: Erstmals seit 1951, als der Disney-Film "Cinderella" bei der allerersten Berlinale einen Goldenen Bären gewann, nahm überhaupt wieder ein Animationsfilm am regulären Wettbewerb Teil. Der Regisseur Hayao Miyazaki wird in seiner Heimat Japan längst kultisch verehrt, sein "Spirited Away" ist dort der erfolgreichste Film aller Zeiten. Miyazaki verbindet darin, wie in all seinen Filmen, überbordende Fantasie mit einem immer originellen Zugriff auf westliche und östliche Mythen, Legenden und Texte, ohne doch den Bezug zur Gegenwart zu kappen. Das deutsche Feuilleton (mit wenigen Ausnahmen) weigerte sich, den animierten Bildern ihre Größe anzusehen - umso erfreulicher nun diese Entscheidung der Jury.

Aus künstlerischen, gewiss nicht aus politischen Gründen sehr bedauerlich ist dagegen der zweite Goldene Bär für Paul Greengrass' "Bloody Sunday", die akribische Rekonstruktion eines der schwärzesten Kapitel in der nordirischen Geschichte. Das Ergebnis bleibt, der pseudokumentarischen Kamera, der begrüßenswerten Verdammung des Unrechts zum Trotz eine gut gemeinte, aber blutleere Geschichtslektion, ein in seinen Mitteln und Ideen gänzlich unbedarftes Fernsehspiel. Aus der Riege der alten Herren, deren Filme für den Wettbewerb leider eher Ballast als Bereicherung waren, bekam Otar Iosseliani für seinen skurrilen "Lundi Matin" den Silbernen Bären für die beste Regie, der Berlinale-Veteran Bertrand Tavernier hatte mit "Laissez-Passer", seinem Film über die Rolle der deutschen Continental-Film im besetzten Frankreich, nicht überzeugen können - und erhält doch zwei Preise, für Jacques Gamblin als besten Darsteller und für die Musik von Antoine Duhamel.

Es hätte Alternativen für den Goldenen Bären gegeben, leider bedauernswert wenige. Dieter Kosslick, der Ex-Filmförderer, hatte bei seinem Debüt als Festivalchef vor allem mit der Auswahl von gleich vier deutschen Filmen im Wettbewerb für Aufsehen gesorgt und eine Aufbruchstimmung zu erzeugen versucht, die dann, alles in allem, doch nicht recht entstehen wollte. Tom Tykwers mit Cate Blanchett in der Hauptrolle herausragend besetzter Film "Heaven", entstanden nach einem nachgelassenen Drehbuch von Krysztof Kieslowski (und Krysztof Piesiewicz), wurde nicht unfreundlich, aber ohne alle Begeisterung aufgenommen. Nach ein paar Tagen war von ihm nicht mehr die Rede, ganz zu Recht. Zu dick aufgetragen ist die metaphysische Symbolik in der zweiten Hälfte des Film, zu dick der Pinselstrich und zu wenig überzeugend die Geschichte einer vorbehaltlosen Liebe, die "Heaven" eigentlich tragen müsste.

Der vielleicht umstrittenste Wettbewerbsbeitrag war Dominik Grafs "Der Felsen". Auf den Fluren überwogen nach der Vorführung die empörten Kommentare, Hellmuth Karaseks vernichtende Kritik im Tagesspiegel machte tags darauf rasch die Runde. Dabei war Grafs erster Kinofilm nach acht Jahren das einzige echte Wagnis im Wettbewerb, der ehrgeizige und über weite Strecken gelungene Versuch, die Essenz einer Liebesgeschichte zu erzählen, ohne Rücksicht auf Realismus und Psychologie. Der Off-Kommentar, der wie die sinfonische Musik eine bewusste Distanz zu den selbst distanzlosen digitalen Video-Bildern herstellen sollte, wurde als redundant, störend, als ärgerliche Dummheit missverstanden. Keine Frage, dass "Der Felsen" die Geduld des Betrachters gelegentlich strapaziert - aber die Risiken, die Graf einging, und die vielen Szenen, in denen das Kalkül aufgeht, machen den Film zu einem aufregenden Kinoerlebnis. Das wäre einen Bären wert gewesen. Der einzige weitere Beitrag, der gleichfalls einen größeren Teil des Publikums verstörte, war Kim Ki-duks neuestes Werk "Bad Guy". Er erzählt die horrende Geschichte einer in die Prostitution gezwungenen jungen Frau, die sich in den Mann verliebt, der sie allererst ins Unglück gestürzt hat. Die sehr eigene Vision des Regisseurs, die Poesie, die er der Gewalt abpresst, die Ambivalenz, die er von Anfang bis Ende bewahrt und auch dem Betrachter aufnötigt, hätten mehr Anerkennung verdient, als sie bekamen - wenngleich sein neuester Film hinter dem großen Wurf "The Isle" zurückblieb.

Preiswürdig auf ganz andere Art war einer der Publikumslieblinge, Andreas Dresens aus der Improvisation mit den Schauspielern entstandene, gleichfalls mit digitaler Videokamera gedrehte Ehebruchsgeschichte "Halbe Treppe", die auf jeden Fall die meisten Lacher auf ihrer Seite hatte. Ein vom Anspruch her kleiner Film, aber bis in die kleinsten Details stimmig und intelligent. Für so etwas gibt es nicht die ganz großen Festivalpreise, aber immerhin den Preis der Internationalen Jury - völlig zu Recht. Auf der ganzen Linie enttäuschend war dagegen der vierte deutsche Beitrag, Christopher Roths "Baader", der den Terroristen als Popfigur, die erste Generation der RAF als gruppendynamisches Experiment vorführen wollte. Das Ergebnis wirkt jedoch so mut- wie ziellos, weder zu seinen Figuren noch zur jüngeren deutschen Geschichte gibt der Film einen interessanten Kommentar.

Gleichfalls unerfreulich waren die Wettbewerbsbeiträge aus den USA. Lasse Hallströms Bestseller-Verfilmung "Schiffsmeldungen" ist eine so unsäglich verlogene Schmonzette, dass einem der immer verlässliche Hauptdarsteller Kevin Spacey nur Leid tun konnte. "Monster's Ball", im Kern eine unkonventionelle Liebesgeschichte, bewegt sich inszenatorisch immerhin an den Rändern der von Hollywood vorgegebenen Darstellungsklischees, findet letztlich aber kein überzeugendes Mittel gegen die Zumutungen des Drehbuchs. Dass Halle Berry - nach einer Oscar-Nominierung - nun auch den Bären als beste Schauspielerin erhält, überrascht nicht, ist aber sehr bedauerlich. Neben Billy Bob Thorntons Subtilität hätte ihr überzogenes Spiel doch eigentlich auffallen müssen. Beträchtlichen Vorschusslorbeer brachte Wes Andersons "The Royal Tenenbaums" aus Amerika mit - umso größer der Ärger, dass außer einem selbstgefällig ausgebreiteten Privatkosmos an Anspielungen und Bilderwitzchen nichts zu sehen war.

Allgemeine Enttäuschung dürfte herrschen, dass Jedermanns Liebling und Favorit "8 Femmes" leer ausging - abgesehen vom Preis für die größte künstlerische Einzelleistung, den sich absurderweise alle acht Hauptdarstellerinnen teilen. Dass die Schauspielerinnen ausgezeichnet wurden, leuchtet freilich ein, denn die Besetzung ist das größte Plus von "8 Femmes". Ansonsten verbindet er zwar amüsantes und leichtfüßiges Boulevard-Theater mit einer intelligenten Inszenierung, aber er ist auch ein Film, der nichts riskiert, der an Vorbilder anknüpft, ohne selbst Vorbild, Denkanstoß oder eine Herausforderung zu sein. Diese Entscheidung also geht in Ordnung. Über den Preis für "Spirited Away" darf gejubelt werden - und der Goldene Bär für "Bloody Sunday" wird so rasch vergessen sein wie der Film selbst.


Sonntag, Februar 17, 2002
Ein Nachtrag

Nakta(dul) (Park Ki-yong, Korea 2001)
Forum

"Nakta(dul)" ist das cineastische Hardcore-Programm. Der in schwarz-weiß und mit Digicam gefilmte südkoreanische Spielfilm dauert 90 Minuten, von denen er weite Strecken mit jeweils einer langen Einstellung bestreitet. Die Geschichte, die er erzählt, ist, als Geschichte, aufs Wesentliche reduziert. Ein Mann und eine Frau, beide um die vierzig, haben sich, nach einigen nur sporadischen Begegnungen in der Apotheke der Frau, für einen gemeinsamen Wochenendausflug verabredet. Der Mann holt sie am Bahnhof ab, sie gehen gemeinsam essen. Zwanzig Minuten lang unterhalten sie sich über höchst banale Dinge, ihren Job als Apothekerin, seine Kopfschmerzen, Freunde, das Essen, während die Kamera stoisch und ganz langsam immer wieder hin- und herschwenkt. Von ihm zu ihr, von ihr zu ihm. Da sitzt man dann und ist sich nicht sicher, ob es vielleicht für den Rest des Films so weiter geht.

Die Antwort ist: ja und nein. Mit einem Schnitt auf das Aquarium des Restaurants ist das Essen beendet. Die beiden begeben sich in eine Karaoke-Bar und mitten im Gesang, der die beiden in trostloser Einsamkeit vereint, beugt er sich zu ihr und küsst sie. Nach anfänglichem Widerstand gibt sie nach, sie fahren in ein Hotel. Hier folgen zwei schmerzlich lange Einstellungen von atemberaubender Konsequenz: beide aus Untersicht und einiger Distanz. Die erste zeigt das unendlich lang scheinende Vorspiel auf dem Bett, die zweite dann, aus einer etwas anderen Perspektive, den eigentlichen Geschlechtsakt. Es ist, als wären einem die Augenlider abgeschnitten: man muss hinsehen, obwohl man nicht möchte, man muss die Intimität der Figuren teilen, obwohl man sie nicht kennt. Eine sehr schmerzliche Obszönität. Danach, eine weitere lange Einstellung, essen sie auf dem Zimmer etwas. Das Schmatzen, das fast emotionslose Sprechen, der Blick in die Gesichter, den man nicht abwenden kann.

Der faszinierende Widerspruch, dem "Nakta(dul)" so unendlich viel Raum und Zeit gibt: man sieht alles und erfährt doch fast nichts. Nicht, was diese Figuren umtreibt, außer der resignierten Traurigkeit, der ihre Begegnung abgetrotzt scheint. Wie sie aber zueinander stehen, was sie vom Verhalten des anderen halten, das verbleibt im Raum totaler Ambiguität. Sie sprechen miteinander, aber das hat nicht mehr zu bedeuten als einfach nur das. Eine Sprache ohne Expressivität, in Bildern, die nichts erlauben, was einem das Kino sonst aufzwingt: Einfühlung, Identifikation, psychologische Motivierungen. "Nakta(dul)" legt eine dicke durchsichtige Eisschicht vor die Leinwand, zwingt sich dem Betrachter auf, gerade indem er ihn zu nichts zwingt als dem nackten Blick auf Geschehnisse, deren Abbildung eingeschrieben ist, dass sie nicht für ihn bestimmt sind.


Take Care of My Cat (Jeong Jae-Eun, Korea 2001)
Forum

Das koreanische Kino ist, beinahe aus dem Stand, in den letzten Jahren zu einem der vielseitigsten der Welt geworden, das machen auch die verschiedenen auf der Berlinale gezeigten Filme wieder deutlich. Kim Ki-duk ("The Isle", "Bad Guy"), der Festivalliebling - für viele freilich eine Hassfigur -, hat nun auch in seiner Heimat Erfolg und zwingt nach wie vor Gewalt und Demütigungen in seltsam sperrige und poetische Bilder. Jacky Kangs Blockbuster "Shiri" bekommt als erster koreanischer Film überhaupt einen offiziellen Kinostart in den USA. Und zwei Forums-Filme erweiterten die Facetten noch einmal beträchtlich: Mit "Nakta(dul)" war einer der radikalsten und in seiner Konsequenz überzeugendsten Filme des Festivals zu sehen, während die Regisseurin Jeong Jae-Eun (sie ist, wie sie selbst erzählt, erst die achte koreanische Regisseurin überhaupt, die einen Film in die Kinos ihres Landes gebracht hat) in ihrem Debütfilm "Take Care of My Cat" vorführt, dass man zu aus Frankreich vertrauter unspektakulärer Leichtigkeit auch in Korea in der Lage ist.

In der ersten Szene verabschieden sich die fünf Freundinnen, um deren weitere Schicksale es dem Film gehen wird, von ihren Schuluniformen, von ihrer Schulzeit. Als sie um die zwanzig sind, der Ernst des Lebens begonnen hat, nimmt "Take Care of My Cat" den Faden wieder auf. Hae-Joo ist die beruflich erfolgreichste von ihnen, arbeitet in einer Börsenmaklerfirma und ist dort schon äußerlich, mit Kleid und braver Frisur, fest in die nur scheinbar sanften Hierarchien eingebunden - an unterster Stelle. Privat aber fühlt sie sich ihren Freundinnen, die sich mit Gelegenheitsjobs, im väterlichen Heizsteinladen oder durch den Verkauf von Nippes auf der Straße durchschlagen, überlegen, nimmt sie auf ihren Shoppingtouren mit, obwohl nur sie sich die schicken Kleidungsstücke leisten kann. Sie ist auch die einzige, der der von allen ersehnte Sprung von der schmutzigen, armen Vorstadt Inchon ins teure, lebendige Seoul gelungen ist.

Die Katze des Titels ist ein Geschenk der verschlossenen Ji-Young zum zwanzigsten Geburtstag Hae-Joos, das diese erst annimmt; am nächsten Tag aber gibt sie die Katze zurück. Ji-Young lebt bei ihren Großeltern - und als diese beim Einsturz ihres Hauses ums Leben kommen und Ji-Young nur überlebt, weil sie die Nacht gemeinsam mit ihren Freundinnen verbracht hat, gibt sie die Katze an die im ständigen Clinch mit ihrem autoritären Vater lebende Tae-Hee weiter. Dieser Reigen ist ganz typisch für die Subtilität, mit der Jeong Jae-Eun vorgeht. Auf dramatische Ereignisse hat sie weitgehend verzichtet. Umso genauer beobachtet sie die Kleinigkeiten, im Verhältnis der Freundinnen, aber auch im koreanischen Alltag. Das Netz, das die fünf zusammenhält, ist das der Kommunikation über das Handy, das alle immer dabei haben, dessen Klingeltöne für die mittellose Ji-Young auch einmal als Stereoanlagen-Ersatz herhalten müssen. Um die Bedeutung des Handys zu betonen, projiziert die Regisseurin die SMS-Botschaften, die die Freundinnen sich schicken, immer wieder ins Bild hinein, auf Häuserwände, ins Fenster der fahrenden S-Bahn. Nicht nur mit diesem Einfall versieht sie ihren Film mit einem dünnen Firniss der Poesie, ganz unaufdringlich, aber sehr kunstvoll.


KT (Junji Sakamoto, Japan 2002)
Wettbewerb

Junji Sakamotos "KT" ist ein mutiger, in seiner expliziten Darstellung politischer Vorgänge ein in Japan - sieht man mal von den Filmen Nagisa Oshimas ab - beispielloser Film. Seine Kritik an der japanischen "Selbstverteidigungsarmee" als Marionette der USA ist von einer für japanische Verhältnisse schneidenden Schärfe. Zudem ist "KT" ein Projekt zur Verständigung zwischen den bis vor kurzem noch verfeindeten Staaten Südkorea und Japan, gerade indem er eines der dunkleren Kapitel aus der Geschichte ihrer Beziehungen aufarbeitet, dem bis heute währenden offiziellen Schweigen über die Vorgänge zum Trotz. 1972 plante der südkoreanische Geheimdienst die Verschleppung und Ermordung des damaligen Oppositionellen (und heutigen Präsidenten) Kim Dae-jung (Deckname: KT), der in Tokio Unterschlupf gefunden hatte. Die japanische "Selbstverteidigungsarmee" war, so jedenfalls die These des Films, tief in das erst in letzter Minute an einer Intervention der USA gescheiterte Attentat verstrickt.

Es mag also sein, dass Junji Sakamoto für seinen Film eine Tapferkeitsmedaille verdient hat und dass das Werk, das geschickterweise fast zeitgleich mit den in Südkorea und Japan gemeinsam stattfindenden Fußballweltmeisterschaften startet, in beiden Ländern für heftige Kontroversen sorgen wird. Das ändert leider nicht das mindeste daran, dass "KT" den traurigen ästhetische Tiefpunkt des diesjährigen Wettbewerbsprogramms darstellt. Der Film ist nicht einfach ärgerlich oder verlogen oder langweilig oder an den eigenen Ansprüchen gescheitert wie andere schlechte Filme des Wettbewerbs, nein, "KT" ist etwas ganz anderes: das unbeholfene Machwerk eines drittklassigen Regisseurs. Während keiner einzigen der 135 quälenden Minuten hat man den Eindruck, dass Sakamoto seinen Stoff in den Griff bekommen hat. Weder für den Thriller, zu dem man die Vorgänge offensichtlich hätte verarbeiten können, noch fürs zugespitzte Politdrama hat er sich entschieden: und wie so oft bringt auch hier der Mittelweg den Tod.

Der Film ist überfüllt mit Figuren, die einzuführen völlig unnötig ist, mit Erzählsträngen, die überflüssige Abwege sind, mit Details, die nichts zur Sache tun, und er hat eine Liebesgeschichte, der es an der Nonchalance fehlt, mit der die besseren unter den Hollywoodfilmen einen solchen Blödsinn in politische Filme einzuflechten pflegen. Die Ausrede, die man für den ziellos mäandrierenden "Baader" noch gelten lassen könnte, dass die historischen Geschehnisse eben kompliziert gewesen sind, greift hier nicht: da es kaum Aussagen der Beteiligten gibt, ist die Geschichte, wie der Regisseur in der Pressekonferenz betonte, ohnehin zum größten Teil Spekulation und Fiktion. Nichts hätte ihn also daran hindern können, ein Minimum an Figuren umso schärfer herauszuarbeiten, ihre bei näherer Betrachtung durchaus tragischen Verstrickungen deutlich zu machen.

Stattdessen gibt es nur endlose Gespräche, Begegnungen in Hinterzimmern, Aufschub um Aufschub, Verwicklungen, die zu verstehen und nachzuvollziehen man schon nach fünf Minuten keine Lust mehr hat. Das narrative Unvermögen, das schleppende Tempo, das völlig fehlende Rhythmusgefühl sind schlimm genug, aber Sakamoto ist auch in seinen Kadrierungen und Kamerabewegungen auf eine Weise uninspiriert und hölzern, die man beim ehemaligen Assistenten des durchgeknalltesten aller japanischen Regisseure, Sogo Ishii ("Die Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb"), nie für mögliche hielte. Man versteht die Motive, aus denen die Auswahlkommission diesen Film in den Wettbewerb eingeladen hat - und muss sie wohl als böses Omen für die Zukunft nehmen. Kunstverstand ist nicht dasselbe wie verinnerlichte Sozialdemokratie - und gut ist allzu oft das Gegenteil von gut gemeint. In den anderen Reihen der Berlinale sind großartige, wunderbare, zu Herzen und zu Verstand gehende Filme aus Japan gelaufen, sie alle - von "Go" bis zu "All About Lily Chou-Chou" - hätten im Wettbewerb eine exzellente Figur gemacht. Dass man stattdessen "KT" gezeigt hat, lässt, leider, auf die totale Abwesenheit ästhetischer Gesichtspunkte bei der Filmauswahl schließen.


Samstag, Februar 16, 2002
Historische Fragen

RAF und Nazi-Mitläufer im Wettbewerb

Von Günter H. Jekubzik

Kein nationales Filmfestival weltweit beschäftigt sich derart mit seiner eigenen Geschichte wie die Berlinale. Es ist - fast in Sichtweite des Reichstages und vieler anderer historischer Stätten - auch tatsächlich naheliegend, über Judenverfolgung, Krieg, Anpassung oder Widerstand filmisch nachzudenken. Im Finale der 52.Berlinale gab es
historische Fragen in großartiger und unsäglicher Form

Der renommierte Regisseur Istvan Szabó beschäftigt sich in "Taking Sides" mit dem "Fall Furtwängler": Prachtvolle Musik erklingt im Berliner Dom. Der Dirigent Dr. Furtwängler lässt selbst bei Bombenalarm weiter spielen. In der nächsten Szene wird unter amerikanischen Offizieren abgesprochen, dass ein Exempel an diesem Prominenten statuiert werden soll. Szabó kommt schnell zur Sache. Sein Ankläger, Major Arnold (Harvey Keitel auch als Gast in Berlin), ist der Meinung, alle Deutschen waren Nazis, man muss es ihnen austreiben. Dementsprechend hart geht er mit dem Künstler ins Gericht, der von allen anderen verehrt, ja angehimmelt wird. Die Russen wollen ihn sogar gegen ein ganzes Orchester eintauschen. Doch im Zentrum von Arnolds Untersuchung steht die Frage, wie konnte ein Mensch in diesem Deutschland bleiben, wie konnte man für die Nazi spielen. Die Frage nach Kunst oder Politik, beziehungsweise, ist Kunst unabhängig von Politik denkbar und moralisch vertretbar, wird in den Verhören und Diskussionen spannend dramatisiert. Szabó erfasst die Spannweite von Verführung durch die Macht bis zur Naivität einer selbstzentrierten Kunst, die beispielsweise auch Klaus Theweleit in seiner Analyse Gottfried Benns aufzeigt. Es bleibt ein 'Aber'. Egal von welcher Position aus man startet, es bleiben Fragen
offen. Mit ''offenen Fragen" versuchte ein anderer Film seine Geschichtslosigkeit zu verstecken. "Baader" ist ein handwerklich gut gemachtes, gut gespieltes hirn- und historienloses Machwerk, das RAF-Geschichte ausbeutet, um einer auf Popkultur getrimmten Räuberballade Gewicht zu geben. Frank Giering ist als RAF-Terrorist Andreas Baader dabei cool, unverschämt, rücksichtslos. So ein richtig klasse Filmtyp wie Belmondo oder Eastwood - wäre da nicht noch eine andere Geschichte. Die Kultfiguren von Regisseur Roth gefallen sich im lasziven Labern, scharfes Analysieren, das der RAF eigen war, wäre wohl uncool. Die von jeder Historizität abgehobene Räuberballade setzt ihrer Unverfrorenheit im Finale die Krone auf, da wird Andreas Baader bei einer Verhaftung erschossen. Soll dies ein Statement zum ungeklärten (Selbst-) Mord von
Baader und Mitinhaftierten in Stammheim sein? Fraglich blieb beim tosenden Buh-Konzert im Berlinale-Palast jedenfalls nichts mehr. Nur durch rasches Abtreten konnte der Filmemacher einen Tumult verhindern. Dass Robert Stadlober, das überschätzte und eingebildete Jungsternchen aus "Crazy" als Moderator den Film verteidigen wollte, zeigt die Un-Reife dieses ärgerlichen deutschen Filmchens.


Fulltime Killer (Johnnie To und Wai Ka-Fai, Hong Kong 2001)
Forum

Seit mehreren Jahren schon ist der Hong-Kong-Film nicht mehr, was er einmal war, nämlich höchst eigenwilliges und formal innovatives Actionkino, das aufregendste der Welt. Die alten Helden, von John Woo bis Tsui Hark, sind nach Hollywood gegangen, haben in der Heimat Lücken gerissen, ohne die Hoffnungen, die man in sie gesetzt hat, so recht zu erfüllen. Hong Kong ist unterdessen im Mittelmaß versunken, mit der einen oder anderen gelegentlichen und einer großen, erstaunlichen Ausnahme: Johnnie To.

To ist ein Veteran, der seinen ersten Film schon 1979 drehte, und in den glanzvollen Jahren Hong-Kongs fiel er nicht weiter auf. Umso verblüffender die Entwicklung, die er seit 1994 nahm. Er gründete die Produktionsgesellschaft Milkyway und dreht seither Jahr für Jahr, meist mit seinem Mitstreiter Wai Ka-Fai, die schönsten Filme, die aus Hong Kong kommen, die bisherigen Höhepunkte: "The Mission" von 1999, die atemberaubende Gangsterballade, mit der er auch im Westen berühmt wurde und "Running Out of Time" aus demselben Jahr, in dem, wie auch in "Fulltime Killer", Andy Lau, in seiner Heimat ein Superstar, die Hauptrolle spielt.

In den herausragenden Filmen Johnnie Tos findet sich stets beides. Einerseits der oft sehr selbstreferenzielle Bezug auf die jüngste Geschichte des Hong-Kong-Films, die Perfektionierung und Übersteigerung jener Actionballett-Choreografien, die als reine und kinetische Form des Kinos weltweit ihre Fans gefunden haben. Und andererseits wagt To die ungewöhnlichsten Durchkreuzungen und Hybridisierungen der mittlerweile zu Klischee und Konvention erstarrten Formen. In "The Mission" etwa inszenierte er einen beinahe statischen Shootout, ein Action-Ballett des fast totalen Stillstands.

Auch das jüngste Werk, "Fulltime Killer", ist ein Ausbruch aus dem Genre, das als vielfach ausgebeulte Struktur dennoch zugrunde liegt. Es handelt sich um die, vor allem von John Woo, immer wieder erzählte Geschichte zweier Männer, die Freunde sein könnten und dennoch darauf aus sein müssen, sich zu töten. Hier: der Japaner O, der angesehenste und bestbezahlte Killer im gesamten asiatischen Raum, durch den der Film denn auch, als wäre es ein Bond, in großem Tempo springt, von Singapur nach Macau, von Tokio nach Hong Kong. Die Sprachenverwirrung ist entsprechend babylonisch, es dürfte sich um den ersten Hong-Kong-Film handeln, in dem mehr japanisch als kantonesisch, daneben aber auch jede Menge englisch, gesprochen wird.

Die gewohnten Action-Choreografien gibt es in "Fulltime Killer" in vergleichsweise geringem Maß. Wenn jedoch Tok, der übermütige Herausforderer, tötet, dann macht Johnnie To daraus - und gewiss nicht ohne Ironie - die ganz große Oper, im wörtlichen Sinne. Er unterlegt die triumphalen Massaker mit Ausschnitten aus europäischen Opern, das steigert sich bis zu "Freude schöner Götterfunken" beim letzten dieser Auftritte, der, das versteht sich von selbst, zum Duell der beiden Kontrahenten wird. Zwischen diesen großen Szenen aber gibt es ganz ungewöhnlich viel Charakterentwicklung, dazu eine Liebesgeschichte, bei der eine Frau zwischen den beiden Männern steht. Es gibt das interessante Spiel mit Maskierungen und die notwendige Ergänzung des Duells zum Dreikampf mit dem Polizisten, der jedoch über weite Strecken im Hintergrund bleibt.

Das Erstaunlichste an "Fulltime Killer", der nach einem Bestseller des Autors Edward Pang entstand, ist jedoch sein Ende, das in einer nicht aufgelösten Doppelung offen bleibt. Der Polizist, der nach der wundersam gelungenen Flucht der beiden Killer frustriert seinen Job aufgegeben hat, schreibt nun ihre Geschichte. Was ihm fehlt, ist ein richtiges Ende. Da taucht Chin, die Frau zwischen Tok und O, bei ihm auf, erzählt ihm, was sich nach der Flucht zugetragen hat. Den Ausgang des Duells aber sehen wir doppelt: einmal siegt Tok, einmal O. Was wirklich geschehen ist, erfahren wir nicht, der Film verweigert ironisch den konventionellen, eindeutigen Abschluss. Das ist ein Flirt des Hong-Kong-Action-Kinos mit dem Kunstfilm, wie man ihn so noch nicht gesehen hat. Die Puristen wird das vielleicht nicht freuen, für alle anderen erweist sich Johnnie To mit "Fulltime Killer" ein weiteres Mal als der im Moment aufregendste Regisseur Hong Kongs.